Ein Brief an psychisch Kranke, um Mut zu
machen!
Als junger Soldat erlebte ich meine endogene Psychose zum ersten Mal.
Trotz
sehr guter Abiturnote hat mir danach jeder vom Studium an der
Universität
abgeraten. Ich tat es trotzdem. Ein Semester musste ich durch die
Psychose
als Lücke hinterlassen. Ich schloss mein Studium nach weniger als
sechs Jahren mit einer guten Note als Ingenieur an der Universität
ab. Auch im Berufsstart holte mich die Psychose ein. Erst drei Jahre
später
und bis zum Alter von 48 konnte und durfte ich wieder als voll
anerkannter Ingenieur
arbeiten. Traut also auch Euch bitte nicht weniger zu, als vor Eurer
Erkrankung.
Ich kann Eure Enttäuschung nachfühlen, wenn Medien über
psychisch Kranke im selben Atemzug mit Verbrechern berichten und wenn
Verbrecher
sich als Opfer ihrer psychischen Erkrankung bezeichnen. Bei amtlichen
Entscheidungen
je nach dem Zusammenhang mit meiner Erkrankung war ich entweder zu
gesund
oder zu krank. Die Gemeinsamkeit bei diesen Entscheidungen war
lediglich,
dass möglichst wenig Kosten für das Amt zu befürchten
waren.
Ich wurde durch Bewerbungsgespräche enttäuscht, in denen
meine
zurückliegende Krankheit entschied und nicht mein möglicher
Erfolg.
Ich sage aber Dank an den Arbeitgeber, der mir eine Chance gegeben hat,
obwohl ich ihm bei meiner Bewerbung über meine Krankheit Auskunft
gab. Ich danke den Psychologen und Psychiatern, die mit mir
herausfanden,
was zu tun ist, und die nicht die Krankheit betäubten, ohne mit
mir
über den Grund zu reden. Und ich danke meiner Familie, die
verzweifelt
und geduldig war.
In meinen Klinikaufenthalten brauchte ich Medikamente so stark dosiert,
dass ein Gesunder sich das nicht einmal im Vollrausch vorstellen kann.
Aber in Alltagsdosierung ermöglichten diese Medikamente mein
Berufsleben
als Ingenieur. Entscheidend für meine Gesundung ist, dass der
letzte
Aufenthalt in der Psychiatrie nicht das Ende der Behandlung sein darf.
Dazu haben zwei Stellen beigetragen, die ich nicht nenne, weil jeder
von
Euch persönlich entscheiden muss, welcher Person er sich in dieser
Behandlung anvertrauen kann: Die Psychotherapie halte ich für
unverzichtbar,
weil nur dadurch eine Gesundung mit Reduzierung der Medikamente
möglich
ist. Sie macht aber erst dann einen Sinn, wenn die unsichtbaren Wunden
bereits oberflächlich verheilt sind. Bei mir waren dazu fast zwei
Jahre nötig. Ich musste in der Psychotherapie lernen, meine
Lebenseinstellung
zu mir selbst zu ändern. Schuld braucht aber keiner mit endogener
Psychose bei sich suchen. Mitmenschen sind ohnehin unschuldig an dieser
Erkrankung. Heute kann ich mit meinen Schwächen zeitweise ohne
Neuroleptikum
leben. Und ich habe neue Stärken in mir entdeckt.
Nach meiner ersten Psychotherapie, die ich teilstationär besuchte,
war meine Medikamentendosis so gering, dass weder ich, noch andere sie
wahrnehmen konnten. Ich lebte und arbeitete einige Jahre als Ingenieur
mit
diesem Medikament. Im Verlauf meiner zweiten Psychotherapie mit
monatlichen
Arztbesuchen am Feierabend erlebte ich, welchen Dienst mir mein
Medikament
über die Jahre getan hatte. Am Ende der Therapie konnte ich ganz
darauf
verzichten. Manchmal bis heute ist aber für mich genauso wichtig
wie
für Euch, dass ich zum Arzt gehe, wenn mich Kopfschmerz,
Schlaflosigkeit
oder Verspannungen quälen. Das bewährte Medikament brachte
mich
auf mein Höchstgewicht. Heute hilft mir ein wesentlich besseres
Medikament.
Meine Ehefrau hat eine ähnliche Vergangenheit als Kauffrau erlebt.
Bei ihrer letzten akuten Erkrankung musste ich sehen, dass sie ihr
Leiden
fast durch Suizid beendet hätte. Heute ist sie froh, dass es ihr
nicht
gelungen ist. Sie nimmt ihren Lebensweg in Beruf und Familie mit Erfolg
an und wir sind glücklich darin. Denselben Wiederaufstieg
wünsche
ich jedem von Euch.
Letzte Änderung dieser Seite: 20.
April 2013